ANMERKUNGEN DER REGIE

Die Motivation zur filmischen Auseinandersetzung mit Angst entspringt einer persönlichen Erfahrung: Vor etwas mehr als zehn Jahren habe ich meinen Partner in einem Extremsport-Unfall verloren, just als ich selber in der Chemotherapie war. Dieses Erlebnis hat mich durchgeschüttelt und gleichzeitig wachgerüttelt. Ich habe viel Zeit in Lauterbrunnen verbracht, wo der Basejump-Unfall passierte, und dort – wider Erwarten – mehr über das Leben als den Tod gelernt. Ich würde selber nie von einer Klippe springen, aber die Basejumper haben mir Mut gemacht, meine Ängste zu konfrontieren und mich auf die für mich wichtigen Dinge im Leben zu fokussieren.

Das ging solange gut, bis ich zum ersten Mal Mutter geworden bin. Die Geburt unseres Sohnes (und 16 Monate später einer Tochter) hat ein grosses Bedürfnis nach Sicherheit geweckt, die durch die gleichzeitige Hysterie in den Medien und eine Flut von Terrormeldungen stark gefährdet schien. Das hat mich sehr irritiert und viele Fragen bezüglich echter und falscher Gefahren und die individuelle Wahrnehmung von solchen geweckt.

Mit den Themen Angst, Risiko und Sicherheit habe ich mich aber schon in meinen früheren Filmen beschäftigt: In SEED WARRIORS sollen im norwegischen Svalbard, 1000 Kilometer vom Nordpol entfernt, im angeblich sichersten Gebäude dieser Art auf der Welt, drei Millionen in Folie gewickelte Samenproben aus aller Welt gelagert werden, um das Weiterbestehen der Artenvielfalt zu sichern. In VIRGIN TALES wachsen sieben Kinder im goldenen Käfig auf, weil die Eltern sie vor jeglichem Ungemach – dazu gehören auch die Konfrontation mit einer säkularen Weltanschauung, Sex und die Gefahr eines gebrochenen Herzens – beschützen wollen. Und in FREIFALL – EINE LIEBESGESCHICHTE erzähle ich von meiner eigenen Krebs- und Verlust-Erfahrung. Insofern ist dieser neuste Film eine natürliche Fortsetzung meines filmischen Schaffens.

Als ich mit der Entwicklung dieses Stoffes begonnen habe, hätte ich es nie für möglich gehalten, dass die Amerikaner Donald Trump zum Präsidenten wählen könnten. Und schlimmer noch: dass auch “Europa vor seinem eigenen Trump-Moment” steht”, wie es die Schweizer Handelszeitung formuliert hat. Wir Europäer empörten uns sehr über den Entscheid der Amerikaner und vergessen darob, dass auch bei uns Populisten auf dem Vormarsch sind, die hetzen, Angst schüren und in der Bevölkerung allgemein eine grosse Verunsicherung auslösen. Sie beeinflussen uns gezielt mit ihrer Sprache, reden von “Flüchtlingswellen”, “Steuerlast” und “schwarzen Schafen”. Diese ständige Konfrontation, das Werten und Einteilen in Gut und Böse, lähmt unsere Gesellschaft und versetzt sie in Unbehagen. Laut Analysen werden Entscheidungen aufgrund von Emotionen und nicht Fakten gefällt, und so ist das Ziel der Populisten schon halb erreicht: Verängstigte Menschen sind einfacher zu überzeugen für neue Gesetze, autoritäre Machtpositionen, Grenzen oder gar Grenzmauern zwischen Ländern bis hin zur Legitimation von Kriegen.

In meinem Film will ich aber nicht der Frage nachgehen, wer schuld ist an dieser Manipulation, sondern vielmehr die Mechanismen aufzeigen und erklären, wie eine solche ermöglicht wird. Unterstützt von Experten will ich zeigen, welche Prozesse unser Urteilsvermögen weitgehend bestimmen – und manchmal auch trüben. Ich will keine Angst schüren, sondern einen Beitrag leisten zur Risikomündigkeit.
Denn erst wenn wir lernen, wie wir selber Risiken verarbeiten und Rückschlüsse aus den Informationen über Risiken ziehen, haben wir das Rüstzeug in den Händen, angemessen und effektiv mit den Risiken des täglichen Lebens und unseren Ängsten umzugehen. In diesem Sinne ist mein Film ein Plädoyer für die Angst. Denn ohne Angst und das Bestreben, sich mit ihr auseinanderzusetzen, würde die Menschheit stehen bleiben.

Mirjam von Arx